Rezension: „Die Sehnsucht des Vorlesers“ – Jean- Paul Didierlaurent


„Ein zauberhaftes Romandebüt voller Humor und Poesie.“
- Le Point

Klappentext
Unsere Geschichte spielt in Paris…
… wenn auch nicht mittendrin. Ob vor zehn Monaten, heute oder in zweieinhalb Jahren, ist auch nicht so wichtig. Viel entscheidender ist: Guylain Vignolles liebt Bücher − unseligerweise muss er sich seinen Lebensunterhalt jedoch in einer Papierverwertungsfabrik verdienen, ohne Aussicht darauf, dass sich das irgendwann ändern wird.
Aus diesem Grund hat der junge Mann wohl auch diese Macke entwickelt, die ihn Tag für Tag aus der grauen Masse der Pendler herausstechen lässt: Jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit liest er im 6-Uhr-27-Regionalzug laut ein paar zerfledderte Seiten vor, die er am Abend zuvor der gewaltigen Schredder-maschine entrissen hat, die täglich abertausende Bücher vernichtet. Es ist sein heimlicher Akt der Rebellion gegen die Vernichtung von Literatur.
Darüber hinaus ist der sonst schüchterne Maschinenführer allerdings gefangen in einem monotonen, ziemlich einsamen Leben. Eines Tages geschieht dann jedoch etwas, das die Dinge von Grund auf verändern wird: Direkt neben seinem orangeroten Klappsitz im Zug findet Guylain einen USB-Stick, auf dem das Tagebuch einer ganz besonderen jungen Frau namens Julie abgespeichert ist …

„Anders als man manchmal denkt, ist nämlich nichts auf der Welt unveränderlich.“
- S. 221


Rezension
{kleiner Spoiler vorab}
Es ist, anders als durch den Klappentext erwartet, kein Liebesroman und gleichzeitig ist es doch einer.

{spoilerfrei}
Vorab erst mal folgendes:
ICH WÜRDE SO GERNE SPOILERN, zu mindestens ein Zitat. Aber, ich bin ja nicht so. Gerade zum Ende hin waren da so tolle Sätze drin. Ich saß im Zug und hab wie eine Blöde gegrinst. Ich glaube, man kennt das ja, wenn man am Handy schreibt und dann anfängt zu grinsen, aber bei einem Buch so zu grinsen wirkte für manche wohl doch etwas seltsam. 🤷‍♀️

Cover
Als ich vor einiger Zeit in der Buchhandlung war, fiel mir das Buch sofort ins Auge. Die verschnörkelte Schrift, der Mann auf dem Cover. Meine Denkweise war ungefähr: „Es sieht aus, als geht es um Bücher. Ich liebe Bücher. Das möchte ich lesen“ (sehr schlau, ich weiß), also kaufte ich es mir.
Das Cover bekommt also schon mal die vollen Punkte.
5/5
🦋e

Inhalt
Mit seinen nur knapp über 200 Seiten ist das Buch recht kurz. Und während ich las verstand ich immer mehr, dass es kein typischer Roman ist. Immer mehr Themen kamen auf, doch die Seiten, auf denen sie näher geschildert werden konnten, wurden knapper. Ich wusste schon: es wird sich nicht alles auflösen. Doch während ich bei anderen Romanen auf die Lösung aller Probleme hin fiebere, wusste ich, dass sie in diesem Buch kein Platz finden werden, denn diese Themen gehören zu Guylains Welt, aber nicht zu diesem Roman. Und das ist okay. Dieses Buch braucht keine Aufklärung. Es ist wie, als wenn man zu Besuch bei jemanden ist. Ein paar Tage oder auch Wochen erlebt man das Leben eines Menschen mit, man erfährt von seinen Gewohnheiten, seinen Eigenarten und seinen Problemen.
Und dann geht man wieder. Man konnte nicht alles im Leben des anderen ändern, aber eine kleine Veränderung sehen und nun, fern von dieser Person weiß man, sie wird ihren Weg nun gehen.
Ist das verständlich erklärt?
Volle Punktzahl. Und ja, auch ich fand ein paar Zeilen ohne wichtigen Zusammenhang für diese Geschichte, aber sie gehörten einfach dazu und daher haben sie mich nicht gestört.
5/5
🦋e

Schreibstil
Als ich vorhin unterwegs war und im Laufen (ja, ich lese beim Laufen) kurz überlegt habe, wie man den Schreibstil beschreiben soll, fehlten mir wirklich die Worte.
Es ist ein alleswissender Erzähler, der gleichzeitig auch distanziert ist. Wörtliche Rede gibt es kaum. Die Art, mit der geschrieben wurde, hat etwas Geheimnisvolles an sich. Yassmin hat es schön mit „philosophisch“ zusammengefasst, nachdem ich ihr kläglich versucht habe, den Schreibstil zu beschreiben. Und ja, das passt. Obwohl es ein Roman ist, der in der jetzigen Zeit spielt, in der Zeit von WLAN, den modernsten Verkehrsmitteln und Lebensweisen, schien es doch in einer alten, friedlichen Zeit zu spielen. Wisst ihr was ich meine? Das Buch gab einem eine gewisse Idylle. Deswegen gibt es auch hier:
5/5
🦋e


Fazit
Ich könnte jetzt noch lange Reden schwingen und glaubt mir, das kann ich gut. Aber wie sehr mir dieses Buch gefallen hat müsste euch durch meine bisherige Rezension nun bekannt sein.
Eine absolute Empfehlung. Einfach toll, mal was ganz Besonderes. Ein wenig Ruhe in der lauten Welt.
Ganz klar volle Punktzahl.
🦋🦋🦋🦋🦋/🦋🦋🦋🦋🦋

Kleine Anmerkung
Kennt jemand „Tauben im Gras“? Wenn ja: Ich finde, es hat von der Erzählweise her Ähnlichkeit damit (oder ich bilde mir das nur ein?!). Als ich es damals für die Schule las, war es so: Manche haben es geliebt, die meisten haben es gehasst. Dazwischen gab’s nicht.
Ich war eine der wenigen, die es geliebt hat. Vielleicht ist es bei diesem Buch genauso. Wobei es ruhig jeder so toll finden kann, wie ich.



Ein paar Daten zum Buch
Titel: Die Sehnsucht des Vorlesers
Originaltitel: Le liseur du 6h27
Originalsprache: Französisch
Autor: Jean- Paul Didierlaurent
Übersetzerin: Sonja Finck
Erscheinungsjahr: 2015 (deutsche Ausgabe)
Verlag: dtv- Premium
Seiten: 223
Preis: 14,90€


(Seitenangaben, Preis und Verlag beruhen auf meinem Buch)


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